Ein Plädoyer für die Stärkung von prozessualer Qualität, Teil 2
von Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilios Fthenakis


Um Bildungsprozesse erfolgreich, vor allem bei Kindern unter sechs Jahren, gestalten zu können, müssen diese angemessen moderiert werden. Dazu muss vor allem eine Gruppenatmosphäre geschaffen werden, die diese Prozesse unterstützt. Um die Aspekte der prozessualen Bildungsqualität zu unterstützen, werden folgende pädagogisch-spezifische Ansätze angewandt:

• Ko-Konstruieren,
• Bilden einer Gemeinschaft,
• Dekonstruieren,
• Dokumentieren,
• Ermächtigen (Empowering),
• Philosophieren,
• Problemlösen,
• Verstärken, Scaffolding (Hilfestellung geben) und
• Aufgaben analysieren.

Ergänzend dazu werden in der Literatur weitere allgemeine Ansätze behandelt, die geeignet sind, die Effektivität kindlichen Lernens in der Gruppe zu steigern. Dazu gehören Demonstrieren, Beschreiben, Ermutigen, Loben und Helfen, Erleichtern, Feedback geben, Gruppen bilden, Zuhören, Modellverhalten, Positionieren von Personen, Fragen stellen, Erinnern, Singen, Vorschlagen, Erklären und Anleiten. Diese »Techniken« müssen von jeder Fachkraft angeeignet werden, um die etwa tausend Interaktionen, die jeden Tag in einer Krippen- oder Kindergartengruppe stattfinden, zu optimieren. Dies ist der Schlüssel für individuelle Gerechtigkeit und für höhere Bildungsqualität in Bildungsinstitutionen. Die englische Studie »Effective Provision of Preschool Eduation« hat deutlich gezeigt, dass die Kompetenz einer Fachkraft, Fragen zu stellen, Bildungsqualität stärken oder behindern kann.
Stellvertretend für alle diese methodisch-didaktischen Ansätze, die inzwischen in den neueren Bildungsplänen (wie zum Beispiel im Bayerischen und Hessischen Bildungsplan) ihre Verankerung erfahren haben und demnach Bestandteil künftiger Erzieherprofessionalisierung sein sollten, werde ich den Ansatz der Ko-Konstruktion vorstellen, wie er von Glenda MacNaughton und Gillian Williams (2004) behandelt wird.



Ko-Konstruktion als Ansatz zur Moderierung von Bildungsqualität

Ko-Konstruktion als pädagogischer Ansatz heißt, dass Lernen durch Zusammenarbeit stattfindet, also von Fachkräften und Kindern gemeinsam ko-konstruiert wird. Der Schlüssel dieses Ansatzes ist die soziale Interaktion. Die Ko-Konstruktion hat sich aus dem philosophischen Ansatz des Konstruktivismus herausgebildet, nach dem man die Welt interpretieren muss, um sie zu verstehen. Auch Piagets Werk ist von dieser Auffassung geprägt: Nach Piaget lernen Kinder durch die aktive Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt. Der soziale Konstruktivismus, der auf den Arbeiten Wygotskis aufbaut, teilt diese Auffassung, sieht jedoch den wesentlichen Faktor für die Konstruktion des Wissens in der sozialen Interaktion. Demnach lernen Kinder die Welt zu verstehen, indem sie sich mit anderen austauschen und Bedeutungen untereinander aushandeln. Dies impliziert auch, dass die geistige, sprachliche und soziale Entwicklung durch die soziale Interaktion mit anderen gefördert wird, während nach Piaget Kinder bei der Entwicklung von Sprache und Intelligenz viel mehr auf sich selbst gestellt sind.


Der effektive Einsatz von Ko-Konstruktion

Fachkräfte können mit Kindern Wissen ko-konstruieren, indem sie die Erforschung von Bedeutung stärker betonen als den Erwerb von Fakten. Für den Erwerb von Fakten müssen Kinder beobachten, zuhören und sich etwas merken. Die Erforschung von Bedeutung dagegen heißt, Bedeutungen zu entdecken, auszudrücken und mit anderen zu teilen ebenso wie die Ideen anderer anzuerkennen.
Die Erforschung von Bedeutungen ist somit ein ko-konstruktiver Prozess, in dem Kinder und Erwachsene in einer Gemeinschaft ihr Verständnis und ihre Interpretation von Dingen miteinander diskutieren und verhandeln.
Ko-Konstruktion wird durch den Einsatz von Gestaltung, Dokumentation und Diskurs unterstützt. Gestaltung, zum Beispiel Bilder, und Dokumentation, zum Beispiel Aufzeichnungen und Notizen der Fachkraft, ermöglichen es Kindern, ihre eigenen Ideen auszudrücken und sie mit anderen zu teilen. Ebenso können sie dadurch die Ideen anderer kennen lernen. Der Diskurs schließlich ist der Prozess, in dem mit den Kindern über die Bedeutungen gesprochen wird, Bedeutungen ausgedrückt, geteilt und mit anderen ausgehandelt werden, während jeder versucht, die Gestaltungen und Dokumentationen der anderen zu begreifen. Fachkräfte achten dabei auf die Theorien der Kinder, ihre Vermutungen, Widersprüche und Missverständnisse und sie machen sie zum Gegenstand von Diskussionen in der Gruppe. Dadurch können sie sicherstellen, dass sie die Kinder bei der Erforschung der Bedeutungen unterstützen und nicht die bloße Vermittlung von Fakten fördern.


Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03/09 lesen.

 

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