Kürzlich erschien die Expertise »Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung. Wissenschaftliche Parameter zur Bestimmung der pädagogischen Fachkraft-Kind-Relation«, erarbeitet von Prof. Dr. Susanne Viernickel und Stefanie Schwarz. Die Autorinnen untersuchten die Rahmenbedingungen pädagogischer Arbeit in Kindertageseinrichtungen unter besonderer Berücksichtigung der Fachkraft-Kind-Relation, setzten sie ins Verhältnis zu den bundes- und landesrechtlichen Vorgaben und behielten dabei die Aufgabenvielfalt der Fachkräfte im Auge.
Die Expertise wurde vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, vom Diakonischen Werk der EKD und von der GEW in Auftrag gegeben.

Frau Prof. Viernickel, wie kam es zu diesem Auftrag?
Unsere Auftraggeber stellen im Bereich der Kindertageseinrichtungen fest, dass die Schere zwischen Anforderungen und Rahmenbedingungen sich immer weiter öffnet. Zugleich erleben sie, dass Appelle in dieser Sache nichts fruchten. Deshalb wollten sie ihre Forderungen wissenschaftlich untermauern können und baten uns, handfeste wissenschaftliche Grundlagen zu liefern, die dieses Spannungsfeld beschreiben und ihnen helfen, in Richtung der Verbesserung der Fachkraft-Kind-Relation zu argumentieren.

Okay, sagten wir, das können wir tun und Empfehlungen aus dem ableiten, was wir beobachten, sammeln und analysieren. Aber wir können keine politischen Forderungen erheben. Das ist dann eure Aufgabe als Auftraggeber.
So eine wissenschaftliche Aufbereitung muss man unabhängig angehen und sauber abschließen. Selbst wenn man zu Erkenntnissen kommen sollte, die nicht in die Linie passen, die man verfolgt – man ist verpflichtet, sie zu nennen. Also haben wir zum Beispiel die 10 Prozent Vor- und Nachbereitungszeit benannt, die Wolfgang Tietze für die sächsischen Kitas in seiner Studie erfasste. Zwar halte ich dieses Zeitvolumen für zu gering, andere Untersuchungen weisen wesentlich höhere Werte aus, aber ich kann es nicht unter den Tisch fallen lassen.

Nach solchen Prämissen sind wir vorgegangen und haben gefragt: Wissenschaftliche Belege – was heißt das? Wie kann man die Fachkraft-Kind-Relation wissenschaftlich untersuchen? Schließlich haben wir uns für einen Dreierschritt oder drei Säulen entschieden.
Die erste Säule sind nationale und internationale Längsschnitt- und Querschnitt-Studien, die Zusammenhänge zwischen dem wichtigen Strukturmerkmal der Fachkraft-Kind-Relation beschreiben, und dem Auftrag der Kita, Kinder in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Unsere Frage war: Wie wirkt sich das aus? Ist das überhaupt bedeutsam?

Die Mehrzahl dieser Studien stammt nicht aus den hiesigen Gefilden…
Ja. Natürlich lassen sich Studien aus Nordamerika nicht eins zu eins auf Europa oder Deutschland übertragen. Dennoch kann man Tendenzen erkennen. Man muss nur schauen, was passt und was nicht passt. Zum Beispiel ist die Gruppengröße, die in den amerikanischen Studien als ein wichtiges Merkmal der Strukturqualität gilt, in Deutschland viel differenzierter zu betrachten. In Amerika hat man hauptsächlich altershomogene Gruppen, während es bei uns viele altersgemischte Gruppen gibt. Deshalb ist die Gruppengröße bei uns kein starres Merkmal. Wir wissen nicht, wie sich altersgemischte Gruppen auf die Prozessqualität und die Entwicklung der Kinder auswirken. Bei der Fachkraft-Kind-Relation lassen sich die Ergebnisse aus den Studien besser übertragen.
Diese Studien waren unsere erste Basis, und wir fragten: Hat es überhaupt eine Bedeutung oder ist es völlig egal, ob eine Erzieherin mit zehn oder mit 20 Kindern zu tun hat? Heraus kam: Es ist nicht egal. Die Studien zeigen – von wenigen Ausnahmen abgesehen –, dass eine Erzieherin, die sich um weniger Kinder kümmern muss, es in mehrfacher Hinsicht besser schafft, sich den Kindern positiv und empathisch zu nähern, besser auf deren Fragen und Anliegen eingehen, die Räume entwicklungsanregender gestalten kann.

Das klingt wie eine Binsenweisheit. Und Sie können nun nachweisen, dass es tatsächlich so ist?
Ja, es klingt banal. Aber so banal ist es nicht. Aus der Praxis wissen wir: Wenn zwei Fachkräfte jeweils 15 oder 18 Kinder in ihren Gruppen haben, kann die Qualität der Arbeit – also wie die Erzieherinnen tatsächlich auf Kinder eingehen und sie fördern – sehr unterschiedlich sein. Doch wenn man die Durchschnittswerte betrachtet, erkennt man den Zusammenhang deutlich: Habe ich mehr Zeit, mich einzelnen Kindern oder Kleingruppen zuzuwenden, ohne dass drei andere Kinder an meinem Pulli ziehen, bin ich in der Lage, sie besser zu fördern. Das zeigen die Studien.
In der Expertise haben wir zum ersten Mal zu sagen gewagt, dass es so etwas wie Schwellenwerte gibt. Wir haben sie entdeckt, weil wir viele Studien nebeneinander gelegt, ihre Ergebnisse einander gegenübergestellt und festgestellt haben, dass ähnliche Größen genannt werden. Sie liegen bei den Kindern unter drei Jahren bei 1:3 bis 1:4, was auch internationalen Empfehlungen entspricht, bei Drei- bis Sechsjährigen aber bei 1:8. Dieser Wert ist niedriger als in den Empfehlungen. Bei den Fünf- bis Sechsjährigen liegen die Schwellenwerte bei 1:10. Das war für mich ein Hinweis, mit mehr Nachdruck darauf zu drängen, dass es wichtig ist, gute Fachkraft-Kind-Relationen zu schaffen.

Danach haben wir gefragt: Wie verhält es sich mit unseren Kita-Gesetzen? Was sollte, laut Gesetzgeber, nicht unterschritten werden? Was kommt heraus, wenn man sich die Vollzeit-Äquivalente ansieht, wenn man also in der amtlichen Statistik nachschaut, wie viele Fachkräfte angestellt sind? Sind zwei Teilzeitkräfte angestellt, rechnet man sie als eine Vollzeitkraft. Zwar bedeutet das für die Kinder etwas ganz anderes – das räume ich ein –, aber so wird es in der Statistik gemacht. Andererseits guckt man: Wie viele Kinder sind ganztags angemeldet? Aus diesen beiden Zahlenwerten kann man eine Relation ermitteln. Das hat zum Beispiel die Bertelsmann-Stiftung gemacht.
Wir haben diese Ergebnisse herangezogen und festgestellt: Das eine sind die Mindestanforderungen, die niemand unterschreiten darf. Das andere sind die errechneten Vollzeit-Äquivalente. Wie aber sieht es wirklich aus? Oder ganz banal: Wie viele Erzieherinnen gibt es, wie viele Kinder gibt es? Und wie passt das zusammen?


Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 07-08/09 lesen.

 

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