Wenn Erzieherinnen streiken

Sie öffnet die Haustür und steht vor einer Regenwand. Ausgerechnet heute. Mitten in der Wittlicher Senke. Ihre dünnen Hände greifen nach einem Karton, gefüllt mit Fähnchen, rot und weiß, Trillerpfeifen, rot, Luftballons, goldfarben. Sie öffnet die Tür von ihrem Golf, den sich ihr Sohn dauernd ausleiht, wirft den Karton auf die Rückbank zu den Schildern, Schirmen, rot und weiß, zu Plakatständern, Streikkitteln und dem Megaphon. Sie geht zurück ins Haus, greift nach dem Verstärker, zerrt. Sie ist drahtig.

Drahtig und zäh. Unendlich zäh. Der Verstärker hängt in der Luft, fällt auf Plakatständer, Streikkittel, Luftballons. Ein halber Zentner auf der Rückbank. Gestern Nacht hat sie ihn noch ausprobiert. Ihre Hunde schliefen schon. Mit einer Kollegin stand sie in der halbdunklen Küche und textete über das Mikrofon in den Verstärker: »Ich stehe heute hier, weil die Gehälter für Erzieherinnen seit 2005 sinken. Ich stehe heute hier, weil Bildung mehr wert ist.«


Bildung ist Mehrwert

Dass Bildung mehr wert ist, steht auch auf ihrem Schal, weiß auf rotem Grund. Unter dem roten Schal trägt sie einen roten Pullover mit weißem Kragen. Jetzt, im Juni. Dazu an den Füßen rote Leinenschuhe und auf dem Kopf ein weißes Baseballcap mit GEW-Logo. Erni Schaaf-Peitz streikt. Seit fünfundzwanzig Jahren ist sie Gewerkschaftsmitglied, seit dreißig Jahren arbeitet sie für die Stadt Wittlich. Sie leitet eine KiTa mit mehr als hundert Kindern. Sie diskutiert, debattiert, spricht und kämpft auf Fachtagungen, Konferenzen, Kongressen, Seminaren, Kundgebungen. Dauernd. Trotzdem ist sie aufgeregt, Adrenalin wandert durch ihren ganzen Körper. Sie hat die Kundgebung organisiert, komplett. Sie und ihre Kolleginnen.

Sie haben dafür gesorgt, dass Norbert Hocke spricht, vom GEW-Hauptvorstand. Er wird direkt aus Frankfurt kommen, von den laufenden Tarifverhandlungen. Von den Tarifverhandlungen mit den Männern in Grau, wie Erni Schaaf-Peitz die Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände inzwischen nur noch nennt. Der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes der Region Trier wird sprechen, gleich im Anschluss sein Nachfolger. Der Gewerkschaftssekretär Bernd Huster, der SWR, Radio Rheinland-Pfalz, der Trierische Volksfreund: Alle werden sie heute Vormittag auf dem Kornmarkt sein, zweihundert Meter vom Hauptmarkt der Stadt Trier entfernt. Das Ordnungsamt hat alles genehmigt. Dazu gibt es Musik, Hannes Wader gesungen von Andreas Sittmann, ein Trommelkonzert und 350 Brezeln. Die Brezeln und Norbert Hocke holt eine Kollegin, um kurz nach acht. Im Regen. »Die Sonne wird schon noch kommen.« Erni Schaaf-Peitz zieht die Fahrertür zu, startet den Motor, rollt aus der Einfahrt.


Ein Kampf voller Missverständnisse

Die Scheibenwischer schieben den Regen von der Windschutzscheibe. Sie sucht einen Sender. SWR 1, 2, 3, Werbung, RPR 1, Radio Rheinland-Pfalz, Nachrichten. Sie stellt lauter, hört: »Die Streiks in den rheinland-pfälzischen Kindertagesstätten werden am heutigen Mittwoch unvermindert fortgesetzt. Ein besonderer Schwerpunkt des Ausstands ist Trier, wo auf dem Kornmarkt eine große Kundgebung geplant ist. Dazu erwartet die Gewerkschaft GEW bis zu 400 Erzieherinnen und Erzieher aus Trier und den umliegenden Landkreisen [...] Auch in Mainz, Ludwigshafen, Neuwied und der jeweiligen Umgebung müssen die Eltern sich auf alternative Betreuungsmöglichkeiten vorbereiten. Die bisherigen Angebote der Arbeitgeber sind noch immer unzureichend. Beim Geld gibt es nun zwar ein besseres Angebot, nicht aber beim Gesundheitsschutz.« Verdreht. Die Gehaltseinstufung ist das Problem, bleibt das Problem. Es ist ein Kampf voller Missverständnisse, ein Kampf auch mit den Medien, die immer wieder von zu kleinen Stühlen berichten, von lärmenden Kindern, von Erzieherinnen, die ihre schmerzenden Rücken krümmen und dafür mehr Geld haben wollen. Erni Schaaf-Peitz kann es nicht mehr hören. Keiner sitzt gerne auf zu kleinen Stühlen, keiner hat gerne Rückenschmerzen; Erzieherinnen tun es trotzdem, und sie werden es auch in Zukunft tun. Sie habe sich ihren Beruf ausgesucht, sagt Erni Schaaf-Peitz. Und dazu stehe sie auch. Nur zu ihrem Beruf gehörten nicht nur kleine Stühle, zu ihrem Beruf gehöre auch ein Bildungsauftrag. Seit dreißig Jahren. Den könne niemand erfüllen, wenn qualifiziertes Personal fehle. »Wir brauchen die Bestqualifiziertesten, und die haben ein Recht angemessen bezahlt zu werden, so, dass sie über Jahre hinweg motiviert und gesund in diesem Beruf bleiben können. Dafür kämpfen wir.«



Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 07-08/09 lesen.

 

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