Didaktik ist ein Grundbegriff der Pädagogik. In der Frühpädagogik der letzten Jahrzehnte ist Didaktik allerdings weithin zu einem Fremdwort geworden. 1978 ist nach vielen entsprechenden Publikationen die »Didaktik des Kindergartens« (Mörsberger u.a. 1978) erschienen. 2008 sind unter anderem die »Impulse der Elementardidaktik« (Daiber/Weiland 2008) und Lilian Frieds Beitrag »Bildung und didaktische Kompetenz« erschienen, und 2009 hat die Bosch-Stiftung das Projekt »Handreichungen für eine Didaktik und Methodik der (frühen) Kindheit« ausgeschrieben. Dazwischen – wenn man absieht von der ungebrochenen Tradition der Praxis- und Methodenlehre bzw. Didaktik in den sozialpädagogischen Ausbildungsgängen – Funkstille.

Dafür lassen sich viele Gründe anführen. Beispielsweise wurde der Kindergarten in den öffentlichen Diskursen der letzten drei Jahrzehnte nicht so sehr als Elementarbereich des Bildungssystems thematisiert, sondern als familienergänzende Betreuungseinrichtung. Und dies legte es nahe, das pädagogische Geschehen mit Begriffen zu beschreiben, die eine Abgrenzung gegenüber dem Unterrichtsgeschehen in der Schule signalisierten. Man sprach zum Beispiel von pädagogischen Konzepten und Ansätzen.


Die frühpädagogische Didaktik erfährt eine Renaissance und muss weiter entwickelt werden

Seit einigen Jahren jedoch ist eine Renaissance der Didaktik in der bzw. für die Pädagogik der frühen Kindheit zu beobachten. Sie steht im Zusammenhang mit den Initiativen und Maßnahmen zu einer verbesserten Professionalisierung der frühpädagogischen Fachkräfte. Diese deute ich als Reaktion auf die Bildungskatastrophe, die mit Verweis auf die PISA-Studien diagnostiziert worden ist; eine Variante der Reaktion auf die Bildungskatastrophe vor 40 Jahren, die wie diese nicht zuletzt darauf abzielt, den Kindergarten als erste Stufe des Bildungssystems zu begreifen und auszugestalten.

Wenn wir Tageseinrichtungen für Kinder als Bildungseinrichtungen zum Thema machen, fragen wir danach, unter welchen Zielsetzungen, im Hinblick auf welche Inhalte und Kompetenzen und auf welchen Wegen diese Einrichtungen die Bildungsprozesse der Kinder unterstützen, anregen, herausfordern und fördern sollen und können. Wir fragen also nach der professionellen Aufgabe, vor welche die Fachkräfte gestellt sind, wenn sie die Kinder auf ihrem Weg ins Leben begleiten. Wir fragen nach der Didaktik. Mit Hilfe des »didaktischen Dreiecks« – Ziele, Inhalte, Methoden – lässt sich jene professionelle Tätigkeit reflektieren, die wir mit Blick auf die Schule Unterricht und mit Blick auf die Frühpädagogik Erziehung nennen. Deshalb spreche ich nicht wie üblich vom Bildungsauftrag, sondern vom Erziehungsauftrag der Tageseinrichtungen für Kinder. Denn was wäre Erziehung Anderes als die Ermöglichung von Bildung, die Aufforderung zur Bildung (Liegle 2008). Und eben darin liegt die entscheidende professionelle Aufgabe der Fachkräfte.

Im Folgenden konzentriere ich mich auf den dritten Aspekt der Didaktik: die Wege der Erziehung, freilich mit Verweisen auf Ziele und Inhalte; denn die Entscheidung für bestimmte Wege ist nicht unabhängig von bestimmten Zielen und Inhalten zu treffen. Für die Ziele und Inhalte der Erziehung und Bildung im Kindergarten gilt allerdings, dass sie den Fachkräften großenteils vorgegeben sind durch die einschlägigen Gesetze und Erlasse, durch die Bildungs- und Erziehungspläne der Länder sowie durch die Träger der Tageseinrichtungen. Demgegenüber halte ich die reflektierte Praxis der Wege der Erziehung für den Kernbereich der pädagogischen Freiheit, der pädagogischen Verantwortung, der Professionalität und daher auch für ein zentrales Anliegen der Ausbildung sowie der Fort- und Weiterbildung. Ich greife diesen Kernbereich auch deshalb heraus, weil hier die derzeitige Krise der Frühpädagogik besonders deutlich zum Ausdruck kommt: Es wird in vielen politischen Absichtserklärungen auf nationaler wie auf internationaler Ebene und auch in vielen Projekten die Vorstellung stark gemacht, Kompetenzen, Wissen und Werte könnten übertragen, gezielt beigebracht und trainiert werden. Mit diesen Vorstellungen, die natürlich auch die Erwartungen von Eltern an die Leistungen des Kindergartens prägen, werden die Gesetzmäßigkeiten verfehlt, die nachhaltigen Bildungsprozessen zugrunde liegen, zuerst und vor allem in der frühen Kindheit, aber nicht nur in dieser Lebensphase.


Zwei Wege der Erziehung: »Indirekte« und »direkte« Erziehung
 
Ich unterscheide zwei Wege der Erziehung: Formen der »indirekten« Erziehung und Formen der »direkten« Erziehung. Diese Unterscheidung ist vorläufig und fragwürdig; ich stelle sie zur Diskussion, um grundlegende Aspekte des professionellen Handelns der Fachkräfte reflektieren zu können.

Beide Wege der Erziehung sind zu verstehen als Antworten auf die Lebensäußerungen von Kindern, auf ihre Signale, Bedürfnisse und Aktivitäten. Beide beinhalten verantwortliches Sehen und Denken, Verhalten und Handeln in dem Sinne, dass ich bedenke und in Rechnung stelle: Mein Verhalten und Handeln können für dieses Kind Folgen haben; das gilt für mein absichtsvolles Verhalten und Handeln ebenso wie für mein spontanes, unbeabsichtigtes Verhalten und Handeln; und dementsprechend können die Folgen beabsichtigt oder unbeabsichtigt sein. Verantwortliche Erziehung ist insofern immer ein kommunikatives, ein dialogisches Geschehen. Erziehung als Dialog hat zur Voraussetzung, was Martin Buber »Umfassung« genannt hat; damit ist gemeint, dass die erziehenden Erwachsenen dazu bereit und fähig sind, ihr Verhalten und Handeln von der Gegenseite her, also vom Kind her, zu erfahren.

Im Falle der direkten Erziehung geschieht die Aufforderung zur Bildung ausdrücklich, das heißt: sie geht von einer gezielten Initiative der Erzieherin aus, diese wendet sich an das Kind in erster Linie in der Form von Sprache und es geht dabei um jeweils bestimmte Wissensinhalte oder Fertigkeiten oder Kompetenzen. Direkte Erziehung geschieht so, dass das Kind die Absicht des Erziehens bemerkt und sich dessen bewusst ist, dass und was es lernen soll. Und eben dies: bewusstes und gezieltes Lernen erwartet die Erzieherin vom Kind.

Im Falle der indirekten Erziehung geschieht die Aufforderung zur Bildung dadurch, dass die Erzieherin Lern- und Spielgelegenheiten schafft; diese liegen im emotionalen Klima der Einrichtung, im Vorbild-Verhalten der Erzieherin, in der Ausstattung der Räume wie zum Beispiel der Einrichtung einer Forschungswerkstatt usw.. Die Erzieherin setzt auf die Eigeninitiative der Kinder, auf ihre Lernlust und ihren Tatendrang. Indirekte Erziehung geschieht so, dass die Kinder die Absicht des Erziehens nicht bemerken und sich dessen nicht bewusst sind, dass und was sie in bestimmten Situationen lernen. Und eben dies: implizites, aus sinnvoller Selbsttätigkeit nebenbei hervorgehendes, unbewusstes Lernen erwartet die Erzieherin vom Kind.

Die beiden Wege der Erziehung setzen also unterschiedliche Akzente im Hinblick auf das professionelle Handeln der Erzieherin und im Hinblick die Art und Weise des Lernens von Kindern. In der Praxis lassen sich die beiden Wege nicht scharf voneinander trennen, vielmehr gibt es Überschneidungs- und Verbindungsformen von direkter und indirekter Erziehung. Dafür werde ich gleich Beispiele nennen.

Beide Wege der Erziehung sowie die Überschneidungs- und Verbindungsformen beider Wege sind wichtig, wenn es darum gehen soll, die Bildungsprozesse der Kinder nachhaltig zu unterstützen und herauszufordern. Dies zeigen die Tradition frühpädagogischer Konzepte seit Fröbel, das Alltagswissen in der Profession und einschlägige Forschungsbefunde. Ein Beispiel aus der Forschung: Fallstudien im Rahmen einer der umfangreichsten und gründlichsten Untersuchungen – des englischen »Effective Provision of Pre-School Education Project« (EPPE-Projekt) – haben belegt (Sylva u.a. 2004):
»Die wirkungsvollste pädagogische Arbeit besteht sowohl aus der anleitenden Vermittlung von Lerninhalten als auch aus dem Zur-Verfügung-Stellen von frei gewählten, jedoch potentiell lehrreichen spielerischen Aktivitäten.« (S. 161)

Eine weitere Beschreibung des untersuchten Sachverhalts verweist zusätzlich auf einen Überschneidungsbereich zwischen direkter und indirekter Erziehung:
»Eine erfolgreiche pädagogische Vorgehensweise beinhaltet sowohl Interaktionsformen, die traditionellerweise als ›Unterrichten/Lehren‹ betrachtet werden, als auch die Bereitstellung einer anregenden Lernumwelt sowie ausgedehnte Phasen, in denen durch die Erzieherinnen gemeinsam geteilte Denkprozesse mit den Kindern herausgefordert und erweitert werden.« (S. 165 f.)

Das Konzept der »gemeinsam geteilten Denkprozesse« bietet ein Beispiel für die Verbindung von indirekter und direkter Erziehung; es realisiert eine dialogische Gestaltung der Erziehung; dabei geht die Initiative (zum Beispiel in Gestalt von Fragen) von beiden Seiten – Erzieherin und Kindern – aus, und es werden die Initiative und Aktivität der Kinder von der Erzieherin gezielt herausgefordert. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Anlässe für gemeinsam geteilte Denkprozesse ergeben sich in der Forschungswerkstatt; Kinder experimentieren, sie stellen Fragen; die Erzieherin geht auf diese Fragen ein; sie zeigt oder erklärt etwas; sie fragt die Kinder, wie sie auf diesen Lösungsweg gekommen sind usw.

Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 09/09 lesen.

 

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