alt

Offene Arbeit in Hamburg

Ein Ausflug nach Hamburg lohnt sich immer. Besonders wenn er außer dem Blick auf die Landungsbrücken noch den Einblick in eine der schönsten Kitas der Welt eröffnet. Von diesem Erlebnis berichten Erika Berthold und Gerlinde Lill.


Anfang August machen wir uns auf die Reise in die Hamburger Kita Markusstraße, im Stadtteil Neustadt gelegen. Ellen Meyer-Jens, die Leiterin, erwartet uns und nimmt sich stundenlang Zeit, um uns das neue Haus zu zeigen, in dem Kinder und Erwachsene seit fast zwei Jahren »residieren«.

Wir kannten das alte Haus, das wir 2006 besuchen durften, und waren schon damals beeindruckt von der Arbeit des Teams und seiner Leiterin. Nun sehen wir, dass ein offenes pädagogisches Konzept räumliche Gestalt gewinnt, wenn die Zusammenarbeit zwischen Pädagoginnen, Architekten und Handwerkern gelingt.
Wir erleben, wie Kinder und Erzieherinnen das Haus mit Leben erfüllen, hören Geschichten aus dem Alltag in den Ferien und spüren, wie erfüllend es ist, wenn ein Team seiner Geschichte vertraut.


Eintritt ohne Schuhe
 
Schon der erste Eindruck ist wunderbar und irdisch zugleich: Willkommen zu sein in offenen, lichtdurchfluteten Räumen, in denen Barfußlaufen zum Programm gehört.

Die Kita Markusstraße ist eine schuhfreie Kita. Wir ließen unsere Sandalen im Vorraum, genossen fortan den Luxus des Barfußlaufens auf orangefarbenem Linoleum und fanden – eingedenk der drei Jahre zurückliegenden Aktion der Kinder, die Hundehalter des Viertels mittels Postern aufzufordern, ihre Vierbeiner zum Entleeren nicht gerade vor die Kita zu führen: Schuhfrei ist die perfekte Lösung.

»Als wir einzogen, mussten wir Gummiüberzieher über die Schuhe stülpen, damit nicht gleich alles schmutzig wird. Da merkten wir, wie schön es ist, wenn eine Kita so sauber ist, dass die Kinder auch in der Halle auf dem Boden liegen und durch das Oberlicht in den Himmel gucken können«, erinnert sich Ellen Meyer-Jens. »Außerdem ist Bewegung einer unserer Schwerpunkte, und da ist Barfußlaufen sowieso besser. Doch obwohl wir in vielen Bereichen Fußbodenerwärmungen haben, fürchten manche Eltern, ihre Kinder könnten sich erkälten, und lassen sie Hausschuhe tragen.«
Schade. Ganz abgesehen von dem guten Gefühl an den Füßen – umgekehrt wird ein Schuh draus: Barfußlaufen ist gesund für den ganzen Körper und stärkt die Abwehrkräfte.


Stimmungen in Gold und Rot

Gleich neben der Eingangstür liegt das Leitungsbüro mit Durchblick. Oder besser: mit Einblick und Ausblick. Ein schmales, hohes Fenster, von innen mit einem goldenen Rahmen umgeben, lässt die Eintretenden sichtbar werden. Sitzt Ellen Meyer-Jens gerade hinter ihrem Schreibtisch, winkt sie den Ankömmlingen zu. Golden gerahmt winken die zurück. Was kann einem Menschen Besseres passieren, wenn der Tag beginnt?

Uns Eintretenden öffnet sich die riesige Halle, Marktplatz genannt. Sie gestattet den freiem Blick in alle Richtungen: nach links ins Restaurant, hindurch auf die Terrasse und weiter bis ans Ende der Markusstraße; nach rechts in den Krippenbereich, geradeaus in die Abteilung der Drei- bis Sechsjährigen, nach oben in den ersten Stock zu den Hortkindern – und durch das Glasdach in den Himmel.

Auf dem Fußboden, direkt unter einer riesigen Hängelampe, fesselt ein großer roter Punkt den Blick. Den kleineren Bruder dieses Punkts kannten wir. In der alten Kita befand er sich am Ende eines langen Flurs und wirkte wie eine Art Kraftzentrum, das allzu schnelle Läufe bremst. Seit Jahren gehört zum Beraterstamm des Teams eine Feng-Shui-Expertin.

»Wenn man auf die Zeichnungen der Architekten schaut, sieht man, dass das Gebäude zwei Schenkel hat, wie eine Spange. Die Feng-Shui-Beraterin meinte, das Haus könne auseinanderdriften, sowohl inhaltlich als auch emotional. Deshalb sei es nötig, die Kräfte zu bündeln und einen Punkt zu definieren, der die Spange zusammenhält«, erklärt Ellen. »Nun gehört der Punkt zu einem Ritual in der Kita. Zweimal in der Woche findet an dieser Stelle unser Liederkreis statt. Jedes Geburtstagskind darf auf dem roten Punkt sitzen und bekommt ein Lied vorgesungen. Und in der Vorweihnachtszeit steht ein riesiger Adventskranz auf dem roten Punkt.«

Wohin wir kommen: Immer wieder taucht etwas Goldenes an den Wänden auf – und damit die Erinnerung an das alte Haus, denn auch dort gab es goldene Quadrate, die den Blick nach oben zogen. »Ja, wir hatten schon damals die Idee, eine Botschaft mit der Farbe Gold zu vermitteln«, sagt Ellen. »Kinder sind ja schnell zufrieden, begnügen sich mit dem hässlichsten Plastikspielzeug und würden im Zweifelsfall auch ohne alles auskommen. Aber wir legen Wert darauf, ihnen mit Materialien und Farben zu zeigen, wie wichtig sie uns sind: Für die Kleinsten nur vom Feinsten. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen Achtung erfahren. Eine Dozentin fragte neulich: Sind diese goldenen Quadrate eigentlich in der richtigen Höhe angebracht? Doch, sind sie. Dass sie oft weit oben leuchten, das hat etwas Mentales. In Besprechungen muss man nachdenken, sich konzentrieren – da wirken sie wie kleine, strahlende Kulminationspunkte und schaffen gute Stimmung.«

Wie regierten die Kinder, als sie das neue Haus betraten? Ellen Meyer-Jens: »Vor dem Einzug hatte ich schlaflose Nächte: Schreiende Schulkinder, die durchs Haus toben, Sachen von oben in die Halle werfen, den Kleinsten auf die Köpfe… Dann kamen die Kinder hier rein und wandelten durchs Haus: Das soll alles für uns sein? Sie trauten sich kaum, Piep zu sagen, und ließen das Gebäude auf sich wirken, geradezu andächtig…«
Dennoch brauchen Kinder Regeln in so einem offenen Haus, meint die Leiterin. Wenn schon die Raumstruktur ihnen Orientierung gibt, verinnerlichen sie die Regeln schneller und verstehen, was damit gemeint ist. »Also keine abstrakten Gebote, die wir aus Bequemlichkeit oder Not aufgestellt haben, sondern Vereinbarungen mit Sinn«, erklärt Ellen.
Andererseits: Die Kinder wissen selbst, dass es gefährlich ist, über die Geländer zu steigen. Warum sollten sie über den Marktplatz fliegen wollen wie der Schneider von Ulm? Außerdem gibt es Bewegungsbereiche, in denen sie ohne Ende klettern können.


Kontakt:
Kita Markusstraße
Markusstraße 10 · 20355 Hamburg
Tel.: 040 34 60 24 · Fax: 040 35 71 17 11
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Internet: www.kitas-hamburg.de

Ansprechpartnerinnen:
Ellen Meyer-Jens, Leiterin
Judith Rudloff, Stellvertreterin
Petra Elvers, Hauswirtschaftleiterin
Petra Niedhart, Erzieherin

In die Kita Markusstraße, eine Einrichtung der Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten und im September 2007 eröffnet, gehen insgesamt 180 Kinder: 42 Krippenkinder, 70 Elementarkinder, davon 14 Integrationskinder, und 65 Schulkinder.
Zum festen Personal gehören 25 Erzieherinnen und Erzieher, die Leiterin, ihre Stellvertreterin und die Hauswirtschaftleiterin. Hinzu kommen 4 Therapeuten, 4 Hausarbeiterinnen und 7 Honorarkräfte.
Das Team betreut Kinder im Alter zwischen zwei Monaten und 14 Jahren sowie Kinder mit unterschiedlichen Behinderungen, die das dritte Lebensjahr vollendet haben.

Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 10/09 lesen.

 

  Zurück zur Übersicht  

Zum Seitenanfang