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Was wollen wir von der Bildung?

Es wird Zeit, Bildung neu zu denken. Oder sie überhaupt wieder zu denken. Ein Beitrag von Reinhard Kahl, Journalist, Filmemacher und Begründer des Netzwerkes »Archiv der Zukunft«


Eine kürzlich veröffentlichte Studie im Auftrag der Bundesregierung kommt zu einem grausamen Ergebnis. Studenten in Deutschland sind heute so »labil und teilnahmslos« wie nie zuvor. Sie haben den Eindruck, »als könnten sie weder ihre berufliche Karriere noch politische Entscheidungen wirklich beeinflussen«. Was bislang nur für Jugendliche ohne berufliche Qualifikation gegolten habe, trifft nun »auf mehr und mehr Studierende zu«. Sie ziehen sich ins Private zurück. Nur noch ein Drittel interessiert sich für Politik. 1983 war es noch mehr als die Hälfte.

Katastrophaler könnte eine Bilanz real verkommener Bildung kaum ausfallen. Gegenwind kommt auf. Der »Bildungsstreik« vieler Schüler und Studenten richtete sich vor allem gegen die Verknappung der Zeit, gegen das Hineinpressen mehr und mehr fein zermahlenen Stoffs in die Köpfe. Stoff, der nach der Klausur wieder Platz machen muss für die nächste Runde. Bulimielernen. Zensuren, Credit-Points, Module und immer wieder »der Stoff« haben sich zu obersten Zielen verselbstständigt. Man sollte das Verkaufen von Stoff den Dealern überlassen.
Es wird Zeit, Bildung neu zu denken. Oder sie überhaupt wieder zu denken.
Welcher Ort wäre dafür besser geeignet als das Theater?
Man sollte allerdings anders als vielleicht von manchem erwartet nicht mit dem Kanon anfangen, sondern damit, Raum und Zeit der Bildung neu zu vermessen.

Die Modellierung der Zeit ist gewissermaßen die Grammatik des Lernens. Lernzeit, ob bei Kindern oder bei Wissenschaftlern, ist diskontinuierlich. Man klebt an einem Problem. Man dreht sich im Kreis. Und plötzlich macht man einen Sprung. Das geht nicht im Gleichschritt und nicht unter Druck. Wenn nun in den meisten Schulen und Hochschulen der Zeitdruck erhöht und die Atmosphäre verschlechtert wird, verführt man immer mehr zum Bluff.

Viele Schüler und Studenten spüren zu Recht eine Ähnlichkeit zwischen der Panikökonomie in der Wirtschaft und ihrer Ausbildung, die sie zu Betriebswirten ihrer selbst gemacht hat. Sie erfahren am eigenen Leib, wie die Ökonomisierung und Instrumentalisierung den Lernbetrieb in einen enorm angestrengten Leerlauf geführt hat und wie diese Instrumentalisierung nun das Instrument selbst zerstört.

Alle, vor allem die Politiker, sind natürlich für die Bildung, zumal sonntags. Aber schon wird bei Bildungsausgaben wieder die alte grausame Sparpolitik angedroht. Politiker verweisen auf leere Kassen und insistieren unschuldig darauf, dass der durch die Krise geschrumpfte Kuchen nur einmal verteilt werden könne.

Denkfehler! Es geht bei Bildung und Forschung nicht darum, Kuchen zu verteilen, sondern darum, Kuchen zu backen! Das rechnen uns auch die coolen Jungs von McKinsey vor, alles andere als romantische Pädagogen, aber gute Rechner. Jeder Euro für die Bildung, zumal für die frühen Jahre, fanden sie in der Auswertung internationaler Studien heraus, wird für die Gesellschaft mit 12 Prozent verzinst und auch die Bildungsrenditen jedes Einzelnen sind hoch.
Das unternehmernahe Institut der Wirtschaft wollte die Zahl nicht glauben, rechnete nach und kam auf 13 Prozent.

Preisfrage. Warum bringen wir unser Geld eigentlich nicht auf diese Bank, die höchste Zinsen verspricht?
Weil wir nicht an diese Wirkung von Kindergarten, Schule und Hochschule glauben. Nicht wenige finden, das, was sie geworden sind, seien sie nicht wegen, sondern trotz Uni und Schule geworden. Ist in vielen Fällen bestimmt nicht falsch. Dann geben sie den Tritt zurück, den sie meinen erhalten zu haben.
Es wird also höchste Zeit, diese Abwärtsspiralen zu unterbrechen!

Mehr Infos unter:
www.adz-netzwerk.de; www.reinhardkahl.de
Fotos: Wilhelm Holthus, www.erika-mann-grundschule.com


Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/09 lesen.

 

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