Einen Blick in die Küche zu erhaschen, fällt im INA.KINDER. GARTEN Rosenheimer Straße in Berlin nicht schwer, da dessen Köchin Doreen Stelter ihre Tür stets offen hält. Auch uns gewährt sie Einblick in ihre Töpfe und in ihr Konzept.

Der verführerische Duft, der heute aus dem Ofen weht, umschmeichelt vor allem die Nasen der älteren Kitakinder. Denn die Küche, in der Doreen Stelter arbeitet, ist nicht an einem abgeschiedenen Ort versteckt, sondern befindet sich gemeinsam mit den Gruppenräumen der »Großen« im ersten Stock des efeuumrankten Gebäudes. Die Küche ist überraschend klein – dafür, dass von hier aus täglich 85 Kinder aus unterschiedlichsten Kulturen mit Essen versorgt werden. Und doch spielt sie in dieser Kita eine große Rolle.

Ein trägereigenes Ernährungskonzept unterstützt Küchenverantwortliche und Pädagogen. Es basiert auf den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V., die weiterentwickelt und als verbindliche Richtlinien an alle 18 Einrichtungen des Trägers ausgegeben wurden. Das zentrale Anliegen besteht darin, gesunde Ernährung und gute Ernährungskultur für die Kinder »einfach, fühlbar und sichtbar« zu machen. Im Juni 2015 vergab das Dienstleistungsunternehmen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (PariSERVE) für diesen Ansatz seinen Zukunftspreis im Themenbereich »Zukunft gestalten – Gesunde Ernährung als sozialer Auftrag«.

Konzeptionell scheint die INA.KINDER.GARTEN gGmbH einiges richtig zu machen. Doch wie gestaltet sich die praktische Umsetzung?



Was auf den Tisch kommt

Das Thema Ernährung ist in der Rosenheimer Straße präsent, sobald man das Gebäude betritt. Gleich im Eingangsbereich lädt der »sichtbare Speiseplan« zum Betrachten ein. Die Kinder haben große Freude daran, ihn allmorgendlich mit bunten Bildern der Lebensmittel zu bestücken, aus denen sich das Mittagessen des Tages zusammensetzt. Zusätzlich gibt es eine Auswahl an kleinen Tüten, die nichtverderbliche Bestandteile des Essens zum Befühlen enthalten. Neben dem Mittagessen wird auch das Frühstück in der Kitaküche zubereitet. Hinzu kommen zwei Zwischenmahlzeiten, die in Zusammenarbeit mit den Eltern gereicht werden. Eine davon wird den zu Hause gefüllten Brotdosen entnommen; die andere setzt sich aus Obstspießen und vollwertigem Brot mit Belag zusammen, den wechselnde Familien beisteuern. Dass die Kleinen ihren Durst durchgehend mit ungesüßtem Tee stillen können, ist nicht nur hier mittlerweile selbstverständlich.

Die Qualitätsstandards weisen das Essen der INA.KINDER. GÄRTEN als »frisch, vollwertig und abwechslungsreich« aus und legen den Kochenden nahe, möglichst naturbelassene Lebensmittel zu verwenden. So leitet bereits das Trägerkonzept dazu an, das Essen zu einem unverfälscht-sinnlichen Erlebnis zu machen. Was genau auf den Tellern landet, wird »kitaindividuell« entschieden. So bleibt Spielraum, um die Menüplanung auf die Bedürfnisse der Kinder abzustimmen und parallel das Ernährungsprofil des Hauses zu schärfen.

Für Doreen Stelter, die ihre Ausbildung in der Hotelgastronomie absolviert hat und bis 2005 in einer Krankenhausgroßküche arbeitete, war es anfangs sehr aufregend, die alleinige Verantwortung für alle Belange der Küche zu übernehmen. Amüsiert erinnert sie sich heute daran, dass das Eintreffen der ersten selbstgeorderten Lebensmittellieferung ihr noch wie ein kleines Wunder erschien. Heute verfügt sie nicht nur über Routine, sondern auch über ein verlässliches Netz an Lieferanten.

Das Team der Kita hat die Vorgabe, einmal wöchentlich Fisch und maximal neunmal monatlich Fleisch auszugeben, an die kulturelle Vielfalt der kleinen Esser angepasst. Schweinefleisch kommt hier nicht auf den Tisch. Auch die Entscheidung, nur Neulandfleisch aus besonders artgerechter Tierhaltung zu nutzen, ist eine Wahl des Hauses. Genau wie der Entschluss, vorrangig saisonale Erzeugnisse aus der Region anzukaufen. Stark beeinflusst wird die Zusammenstellung der Lebensmittel vom Budget. Pro Kind steht Berliner Kindertagesstätten für die tägliche Versorgung mit Nahrungsmitteln nur ein Euro zur Verfügung. In vielen Einrichtungen begleichen Eltern deshalb freiwillig einen Zusatzbetrag, um beispielsweise Bio-Lebensmittel zu finanzieren.

So etwas gibt es in der Rosenheimer Straße nicht. Dennoch erhalten die Kinder hier das bestmögliche Essen. Um Kosten zu sparen, backt die Kitaköchin einmal wöchentlich selber unterschiedliche Vollkornbrote. Auch die Marmeladen und Aufstriche stammen aus eigener Produktion.

Gelieferte Mahlzeiten verschlingen doppelt so viel Geld wie die selbstgekochten. Besonders ärgerlich ist das, weil die teuren Gerichte mehrheitlich in die Tonne wandern, da den Kindern das Essen der Fremdanbieter erfahrungsgemäß nicht schmeckt. Deswegen überbrückt die Kita Abwesenheitsphasen der Köchin von bis zu acht Tagen mit vorgekochten Hauptspeisen, die in der riesigen Gefriertruhe im Keller lagern. Doch bei längeren Ausfallzeiten führt kein Weg an der Essenslieferung vorbei.



Man nehme Flexibilität ...

Konzeptgemäß erfolgt die Essensplanung sechs Wochen im Voraus. Bleibt da noch Raum für jene spontanen Änderungen, die den Alltag von Kindern bunter machen? Mit Engagement, Routiniertheit und ihrer spürbaren Begeisterung für alle Ernährungsbelange, gelingt der Kitaköchin der Spagat zwischen langfristiger Planung und flexibler Praxis. Wo es ihr möglich ist, geht sie auf Wünsche der Kinder ein, um deren Essverhalten positiv zu beeinflussen und setzt auch spontane Ideen um, die Lernanreize bieten und obendrein Spaß machen. Ein Beispiel dafür bildet der »Rote Tag«, an den sich alle gerne erinnern und an dem ausschließlich rote Speisen die Küche verließen.

Auch ihre Bereitschaft, über den eigenen Tellerrand zu blicken, zeichnet die Küchenverantwortliche aus. Ihre Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Rezepten verbindet die Vielfalt der Kulturen mit der Vielfalt der Lebensmittel. Ne-ben religiösen und kulturellen Unterschieden müssen auch individuell-gesundheitliche Aspekte beachtet werden. Welches Kind allergisch auf bestimmte Zutaten reagiert, hat die Köchin im Kopf. Geschmacksverstärker und künstliche Farbstoffe, die als mögliche Allergieauslöser gelten, kommen nicht zum Einsatz.

Zusätzlich müssen alle Inhaltsstoffe gemäß der Kennzeichnungspflicht ausgewiesen werden. Diese Verpflichtung ist nur eine von überraschend vielen bürokratischen Aufgaben. Auch Budget- und Bestandsverwaltung sowie die Bestellvorgänge muss Doreen Stelter in ihrem winzigen Büro erledigen. Gelegentlich schreibt sie dort auch ein beliebtes Rezept nieder, das anschließend auf der Homepage des Fördervereins für die Eltern veröffentlicht wird. Den größten Zeitfresser aber bildet die Erhebung der Nährwerte der einzelnen Mahlzeiten, die vom Träger über ein spezielles Programm erfasst werden.

Die Gesamtheit der Kompetenzen, die für die erfolgreiche Führung einer Kindergartenküche erforderlich sind, reicht weit über das hinaus, was eine Kochausbildung vermitteln kann. Die qualitativen Ansprüche an die Mahlzeiten zu erfüllen, allen Bedürfnissen gerecht zu werden und obendrein so viel Abwechslung in den Speiseplan zu bringen, dass alle Sinne immer wieder aufs Neue »gekitzelt« werden, erfordert Fachwissen, Flexibilität – und Mut.

Viel Zuspruch erhalten die Köche von Änne Fresen, der Gesundheitsexpertin des Trägers. Sie steht ihnen nicht nur als Ansprechpartnerin zur Verfügung, sondern organisiert auch regelmäßige Fortbildungen. Hier lernen die Fachkräfte zum einen, wie die Software funktioniert, die mit den Nährwerten gefüttert werden muss. Diese bildet eines der Instrumente, mit denen der Träger daran arbeitet, die Qualität des Essens stetig zu verbessern. Zum anderen stiften Zusammenkünfte, bei denen neue Zutaten getestet werden, zu mehr Experimentierfreude an und fördern parallel den Austausch zwischen den Küchenverantwortlichen der unterschiedlichen Standorte. Ein weiteres Optimierungsinstrument besteht in der fortlaufenden Evaluation. Der regelmäßige Austausch über die Ernährung bezieht sowohl die Perspektive der Kinder als auch die der Küchenkräfte, ErzieherInnen, LeiterInnen und Eltern ein.

Für Eltern stehen ebenfalls ernährungsbezogene Weiterbildungsangebote bereit. Erst kürzlich fand in der Rosenheimer Straße ein Informationsabend statt, bei dem Änne Fresen und Doreen Stelter gesunde Lebensmittel präsentierten, mit denen die Anwesenden anschließend die Dose ihres Kindes für den nächsten Tag befüllten.


Anne Winkler


Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/15 lesen.

 


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