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Wege aus der Klimakrise
Vor gut zwei Jahrzehnten machte sich der Psychologe und Betriebswirt Svend Andersen in Vancouver als Treibhausgasbuchhalter selbstständig. Weltweit berät er Gemeinden, Unternehmen und Regierungen sowie Schulen und Kindertageseinrichtungen in Sachen Klimaschutz. Unsere Redakteurin Jutta Gruber sprach mit ihm.
Svend, du bist gebürtiger Hamburger und diplomierter Psychologe. Mitte der 1990er-Jahre wurdest du als Mitarbeiter eines deutschen Textilunternehmens in Hongkong Zeuge der zunehmenden Globalisierung. Welcher Impuls hat dich dazu bewegt, eine Firma für Treibhausgasbilanzierung in Kanada zu gründen?
Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit waren schon immer ein Thema für mich, und wahrscheinlich gehört ein gewisser Aktivismus zu meiner Persönlichkeit. Bereits in der Grundschule initiierte ich eine Spendenaktion für Kinder im Slum eines Vorortes von Santiago de Chile, von denen uns der Gemeindepastor erzählt hatte. Später, in der weiterführenden Schule gründete ich einen – wie wir es heute nennen würden – Weltladen. Nach meinem Psychologiestudium arbeitete ich Mitte der 1990er-Jahre für die UN Refugee Agency (UNHCR) in einem Flüchtlingscamp in Hongkong. Als Ausgleich zu den psychisch belastenden Erfahrungen im Camp nahm ich einen Nebenjob in einer Textilfirma an und studierte Betriebswirtschaft. Ich fokussierte mich auf Umweltmanagement und lernte, wie man methodisch unter Nutzung von Standards arbeitet. Das Kyoto-Protokoll – ein Zusatzprotokoll zur UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC), das darauf abzielt, den Klimawandel durch die Reduzierung von Treibhausgasemissionen zu bekämpfen – war gerade verabschiedet worden. Klimaschutz wurde damit, zumindest für Menschen wie mich, die in diese Richtung bereits sensibilisiert waren, zum Thema.
Das Berufsbild des Treibhausgasbilanzbuchhalters hast du selbst entwickelt. Warum in Vancouver?
British Columbia verfügte, als wir 2009 die Firma GHG Accounting gründeten, über das weltweit innovativste Klimamanagement. Darauf basierend wurden 2021 weitere gesetzliche Regelungen, die dem Klimaschutz dienlich sind, erlassen. Seitdem werden z.B. staatliche Gelder für Bauvorhaben nur dann vergeben, wenn nachweislich belegt wird, dass die treibhausgasärmste Lösung – hinsichtlich der Energieversorgung, aber auch der verwendeten Materialien und der Bauweise – gewählt und Klimarisiken wie Überschwemmungen, Waldbrände, Hitze oder Bodenveränderungen für genau diesen Standort und dieses Gebäude baulich berücksichtigt wurden. Mit unserem Angebot, der Erstellung von Treibhausgasbilanzen und Risikoevaluierungen, sind wir hier genau am richtigen Ort.
Im Nachwort deines Buches resümierst du, dass Deutschland und Europa bezüglich des Klimaschutzes trotz zunehmender Hitzewellen, Trockenheit und Extremwetterereignissen wie der Flut im Ahrtal »weiter selbstverliebt in Richtung Katastrophe steuert«. Das war Mitte 2021. Wo stehen wir heute?
Die Hoffnungen, die wir in den 2019 beschlossenen Europäischen Grünen Deal (Green Deal) setzten, Europa bis 2050 in die Klimaneutralität zu führen, haben sich leider nicht erfüllt. Zum Beispiel wird das Greenwashing-Gesetz, das Unternehmen untersagt, Produkte ohne entsprechende Nachweise als umweltfreundlich oder klimaneutral zu bewerben, angeblich um unnötige Bürokratie abzubauen, gerade neu verhandelt und vermutlich zugunsten der Unternehmen entschärft. Ein Lichtblick ist das definitiv nicht.
Was wäre ein Gamechanger?
Ein Gamechanger wäre, nicht länger die Handlungsweisen, die für den Umweltschutz Sinn machen, auf den Klimaschutz zu übertragen. Für die Umwelt ist es gut, wenn wir Müll trennen und Insektenhotels aufhängen und heimischen Pflanzen den Vorrang geben. Ohne Maßnahmen wie diese kleinzureden: Weniger Insekten können zu Nahrungsmittelknappheit führen.Der Klimawandel jedoch – so die Prognosen von Klimaforscher:innen für die nächsten Jahrzehnte – führt zu tausenden Hitzetoten. Jährlich. Allein in Deutschland. Beim Klimaschutz geht es unmittelbar um Menschenleben und zwar vor allem von Älteren und von Kindern. Für den Schutz der Umwelt können wir vieles tun, und jede kleine Maßnahme ist sinnvoll. Die Handlungsweise des Klimaschutzes jedoch ist die Konzentration auf die Reduktion von Treibhausgas als Hauptverursacher des Klimawandels. Neben dem Was, wäre das Wie ein weiterer Gamechanger. Um Menschen zu bewegen, sich mehr um den Schutz der Umwelt und vor allem um den des Klimas zu kümmern, sollten wir eine positive Vision voranstellen. Mit dem Ausmalen von Horrorszenarien schadet man sich selbst psychisch und schreckt andere eher ab, als dass man sie zum Handeln bewegt. Ein einladender Anfang könnte sein, beim Träger oder der Bürgermeisterin anzufragen, ob man langfristig damit anfangen möchte, über eine klimaneutrale, unabhängige, preisstabile und langfristig auch kostengünstige treibhausgasarme Energieversorgung nachzudenken.
Vielleicht ein paar Worte zum Thema Kinder und Resilienz?
Gern. Aus entwicklungspsychologischer Sicht wissen wir, dass sich die emotionale Selbstwahrnehmung – was ärgert mich, was freut mich, was macht mir Angst –, aber auch die körperliche – wann friere ich zu sehr, wann ist es zu warm für mich – erst im Laufe der Jahre entwickeln. Für die Einschätzung, »ich bin überhitzt und muss dringend in den Schatten, um keinen Hitzeschlag zu bekommen«, brauchen Kinder mehr Begleitung, als es sich die meisten von uns wahrscheinlich vorstellen. Dabei ist es ja selbst für uns Erwachsene nicht immer einfach zu verstehen, was Hitze mit uns macht und wann und was wir aktiv dagegen unternehmen müssen – etwa für ausreichend Sonnenschutz sorgen, uns einen feuchten Lappen in den Nacken legen, viel trinken oder größere Anstrengung vermeiden. Wir sollten uns außerdem bewusst machen, dass ihre Körper mit hohen Temperaturen weniger gut zurechtkommen als unsere. Es lohnt sich daher, sich z.B. auf einer Fortbildung schlau zu machen: Wie können wir Kindern vermitteln, auf Warnsignale ihres Körpers zu hören? Wie fühlt es sich an, wenn der Puls rast? Welche Maßnahmen greifen dann? Wann muss ich Hilfe rufen? Doch es reicht nicht, nur die Resilienz von Kindern und ihrer Umgebung gegenüber Extremwetterlagen zu stärken. Wir sind ebenso dringend dazu aufgerufen, vor Ort die größten Treibhausgasverursacher zu identifizieren und konstruktiv zu reduzieren – und damit unseren Teil dazu beizutragen, den Klimawandel zu stoppen.
Svend Andersen arbeitet seit mehr als zwei Jahrzehnten als unabhängiger Treibhausgasbuchhalter und Klimaschutzberater für Gemeinden, Regierungen und Unternehmen. Er leitet die Firma GHG Accounting, ein gemeinnütziges Unternehmen, das weltweit Initiativen bei der Entwicklung umwelt- und klimafreundlicher sowie sozialverträglicher Strategien zur Emissionsreduzierung begleitet. 2021 erschien sein Buch »Der Weg aus der Klimakrise – Endlich sagen, was Sache ist. Endlich wollen, was hilft. Endlich tun, was wirkt.« im Quadriga Verlag. Vorträge und Podcasts mit ihm – in englischer und deutscher Sprache – gibt es auf seiner Website https://ghgaccounting. com/resources-interviews.html
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